Bodybuilding - Gibt es das perfekte System?
30.04.2012
Bodybuilding - Gibt es das perfekte System?
Von Erik “BamBam” Dreesen
Haben Sie in der letzten Zeit mal in Bodybuilding-Zeitschriften geblättert oder sich in einschlägigen Internetforen aufgehalten, um sich neue Anregungen für Ihr Training zu besorgen? Mal ganz ehrlich: Waren Sie hinterher schlauer als vorher? Nein? Dann geht es Ihnen so, wie den meisten anderen ...
Egal wohin man blickt, es vergeht wohl kein Vierteljahr, in dem derzeit kein neues Trainingssystem auf den Markt kommt oder ein altes aus der Mottenkiste ausgegraben und mit einem neuen Namen versehen wird. Egal, ob es „German Volume Training“, Heavy Duty, HIT („High Intensity Training“), HST („Hypertrophy Specific Training“), Superslow, X-Adaption, ILB, das 3-2-1-System, Russische Komplexsätze, oder welches System auch immer ist, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Fast jedes dieser Systeme nimmt für sich in Anspruch, das überlegene Trainingssystem zu sein. Fast immer beruft der Erfinder sich dabei auf wissenschaftliche Untersuchungen und Studien, um seine Trainingsansätze zu untermauern und den anderen Systemen einen unwissenschaftlichen (=unseriösen) Anstrich zu geben. Ganz besonders trifft dieses in den letzten Wochen und Monaten auf den Streit zwischen HIT und HST zu.
Nur, gibt es bei einer so individuellen Sportart wie Bodybuilding wirklich nur ein entweder/oder? Gibt es gar wirklich eine wissenschaftliche Formel, die den Erfolg im Bodybuilding erklärt oder kann es die irgendwann einmal geben? Lassen Sie uns einfach mal in die Vergangenheit blicken...
Schon zu Arnolds Zeiten war es so, dass die Trainingsmethoden der Top-Athleten nicht unterschiedlicher sein konnten. Während Arnold zeitweise mit einem Programm arbeitete, bei dem er den Körper 3x in der Woche durchtrainierte bei 2 Einheiten täglich, jeden Satz bis zum Muskelversagen oder kurz davor, so trainierte ein Casey Viator mit sehr wenigen Sätzen, dafür aber mit brutaler Intensität, nach einem System das heute eher in Richtung HIT gehen würde. Serge Nubret wiederum war dafür bekannt, dass er z.B. beim Bankdrücken endlose Sätze mit niedrigem Gewicht, nicht weit über 100kg, dafür aber hohen Wiederholungszahlen absolvierte.
Und heute? Viel geändert hat sich nicht. Als Dorian Yates die Krone des Bodybuilding innehatte, da trainierte er eher nach einem Heavy Duty Trainingssystem, also mit wenig Sätzen, aber dafür brutaler Intensität. Auf der anderen Seite war ein Flex Wheeler, der bekannt dafür war, eher mit leichten Gewichten zu trainieren und dafür viele Wiederholungen und Sätze zu machen. Ein ehemaliger Redakteur der amerikanischen Muscle&Fitness, der heute ein eigenes Magazin herausgibt, beschrieb mir einmal, wie Robby Robinson (mehrfacher Masters Olympia) auch mit über 50 Jahren regelmäßig die Nachwuchsprofis mit seiner Trainingsintensität und seinen Gewichten zum staunen brachte und „platt“ machte. Dann gibt es wiederum Ron Coleman, der in vielen Dingen eher wie ein Powerlifter trainiert und auch dort früher durchaus Erfolge feiern konnte.
Wenn sich also in den letzten 35 Jahren im Bodybuilding wirklich ein Trainingssystem als das überlegene herausgestellt hätte, hätte das dann nicht irgendwann ein Profi für sich entdeckt und wäre damit allen anderen überlegen gewesen? Und hätten dann nicht alle anderen versucht es diesem Profi nachzutun und wären damit genauso erfolgreich gewesen? Nun, wenn man objektiv die Trainingssysteme der besten Bodybuilder der Welt betrachtet, dann kann man feststellen, dass dem nicht so ist.
Achtung, jetzt kommt es, das Totschlagargument der „Gurus“: Der Grund, wieso die Profis alle auch mit anderen Systemen Erfolg haben ist der, dass sie anabole Steroide und andere Mittel nehmen. Mit anderen Worten, wenn man dopt, dann kann man mit jedem System Erfolg haben. Es kommt nur auf die Wahl der richtigen Mittel an. Ein Naturalathlet muss anders trainieren als ein gedopter Bodybuilder, weil Steroide die Prozesse im Körper dahingehend verändern, dass man besser Muskeln aufbaut, schneller regeneriert, nicht so leicht erschöpft im Training. Deshalb kann auch nur ein Naturalbodybuilder einem anderen Naturalbodybuilder wirklich Ratschläge geben.
Zack ! Diskussion beendet !
Aber sollte man es sich wirklich so einfach machen? Glauben diese Leute wirklich, dass ein Steroidbenutzer trainieren kann wie er will? Wäre dann nicht die Welt voll von Muskelmonstern? Selbst wenn es vermutlich so ist, dass der Bodybuildingsport heutzutage auf höchster Ebene ohne „Hilfsmittel“ nicht zu bestreiten, geschweige denn zu gewinnen ist, so ist trotzdem davon auszugehen, dass das auf praktisch alle Athleten auf diesem Leistungsniveau zutrifft. Nur, wenn alle ohnehin mit den gleichen Mitteln arbeiten, dann gleicht sich das auch wieder aus und der Vorteil, der ein unterlegenes Trainingssystem wettmachen könnte, ist wieder dahin.
Und was ist mit der Wissenschaftlichkeit?
Haben Sie sich schon einmal die meisten wissenschaftlichen Studien genauer angesehen? Die meisten von ihnen haben einen Haken. So bestehen fast immer die Untersuchungsgruppen aus Sportstudenten oder, noch schlimmer, aus untrainierten Mitmenschen. Nur wissen wir doch alle, wie ein Untrainierter am Anfang auf Krafttraining reagiert – mit Wachstum. Für einen Anfänger ist die Art des Trainings so gut wie egal, er baut auf. Die Sportstudenten hingegen, die in der Regel bereits körperlich aktiv sind, haben meistens keinen Bodybuildinghintergrund, sondern trainieren in anderen Sportarten, für die Krafttraining wenn überhaupt, dann nur begleitend eingesetzt wird.
Ein Beispiel: Ein immer wieder aufkommendes Argument von Leuten, die ihr Training wissenschaftlich aufbauen, sind EMG-Messungen, bei denen der Grad der Aktivierung der Zielmuskulatur bei ausgewählten Übungen gemessen wird. Hieraus wurde dann eine Rangliste der effektivsten Übungen erstellt. Durchgeführt wurde das ganze an der Universität in Bayreuth. Nur, auch hier waren die Probanden nur Sportstudenten ohne nennenswerte Erfahrung im Bodybuilding. So war es denn auch kein Wunder, das bei fast allen Muskelgruppen Isolationsübungen die vorderen Plätze belegten, verlangen sie doch kein besonderes Gefühl für die Zielmuskulatur und kein nennenswertes Beherrschen der Übungen. Das wurde z.B. beim Brusttraining deutlich, wo Bankdrücken mit Kurzhanteln hinter dem Butterfly landete. Hier wurde aber wenigstens zugegeben, dass sich dies vor allen Dingen durch das nicht-beherrschen des Gewichts bei der Übung so auswirkte. Kreuzheben wurde aus Komplexitätsgründen nicht einmal aufgenommen. Das ganze bedeutet letztendlich, dass EMG-Messungen im fortgeschrittenen Bodybuilding keine Aussagekraft haben, ein Anfänger aber auch nicht darauf setzen sollte, da er ja die Übungen für später lernen sollte. Das Gefühl für diese kommt aber nur beim Üben.
Letztlich kann man nur festhalten, dass Bodybuilding oder Muskelaufbautraining als Selbstzweck in der Wissenschaft keinerlei oder nur extrem geringe Beachtung findet. Und selbst wenn Studien eher bodybuildingorientiert durchgeführt werden, so doch meist mit Anfängern, wodurch sie wiederum praktisch keine Aussagekraft für einen Fortgeschrittenen, geschweige denn Leistungsathleten haben. Andere Studien wiederum werden von der Industrie bezahlt um Ergebnisse zu bekommen, die wiederum den nutzen eines Produkts beweisen.
Unabhängige Langzeitstudien über einen Zeitraum von einem Jahr und länger, die erst wirklich eine Aussagekraft bei Trainingssystemen haben können, werden Sie vergeblich suchen.
Was bleibt also?
Bodybuilding ist eine der individuellsten Sportarten die es gibt. Was für den einen das optimale Training ist, muss für den anderen noch lange nicht gut sein. Letztlich ist jeder gezwungen, seine eigenen Erfahrung in diesem Sport zu sammeln, der erfolgreich sein möchte. Dabei sollte man unterschiedliche Trainingssysteme ruhig einmal ausprobieren und als Grundlage für die eigenen Versuche nehmen. Ein zu starres Auslegen dieser Systeme bringt einen aber aufgrund der eigenen Individualität nicht ans Ziel.
Halten Sie sich immer vor Augen, dass es das „perfekte“ System, die „eierlegende Wollmilchsau“ nicht gibt, weder für Muskelaufbau, noch für Diät oder Wettkampfvorbereitung, weder für den Anfänger noch für den Fortgeschrittenen oder Leistungsathleten.Bodybuilding ist einfach zu komplex, um es in ein einfaches System pressen zu können.
Hören Sie in sich hinein, machen Sie sich vielleicht auch einmal Notizen für einen Vorher/Nachher-Vergleich nach dem Test eines neuen Systems. Halten Sie sich immer vor Augen, dass die Basis einer jeden erfolgreichen Bodybuilderkarriere immer die Grundübungen waren. Jeder Champ, den man heute in den Zeitschriften sieht, hat einmal klein angefangen und sich dafür geschunden und experimentiert, um dahin zu kommen, wo er heute ist. Geschenkt wird einem im Bodybuilding nichts. Nur wer bereit ist, hierfür auch Opfer zu bringen und vor allen Dingen diszipliniert, hart und intensiv an sich zu arbeiten, der wird auch irgendwann die Früchte dieser Mühen ernten.